Sibylle Berg Interview

Auf Sibylle Berg muss man zwei Mal warten. Beim ersten Mal hat sie nämlich den Termin verschwitzt. Dafür ist sie beim zweiten Mal umso entzückender. Wie kann es sein, dass diese Frau als polemisch und provokant gilt? Sie ist ganz normal, ganz freundlich, in diesem kleinen Gastgarten in einer guten Züricher Wohngegend, nicht weit von ihrem Haus entfernt.

MA – Im Grunde ist das erst das dritte Literatur-Interview, das ich führe.

SB – Wen haben Sie denn vor mir interviewt?

Haruki Murakami in Tokyo und Hallgrímur Helgason in Reykjavík …

Sind Sie abonniert auf Gestörte?

Vielleicht können nur Gestörte gut mit Gestörten sprechen … aber wieso konnten Sie gestern nicht kommen?

Ich war ernstlich krank. Es war ´ne Erkältungs-Erkältung. Da kam überall Eiter raus. Und ich glaub wirklich, es geht nicht mehr lang.

So schlimm?

Man wird sehen … (Pause.) Ich bin ja gelegentlich – in dem Wien.

Wo haben Sie denn in dem Wien gewohnt?

Am Arsch. Ich kann nicht genau sagen, wie es dort hieß. Das Theater, in dem sie ein Stück von mir über Kakerlaken spielten, lag in der Gumpendorfer Straße, die ging dann weiter, über den Gürtel hinaus, dort wirkt das wie eine Asylstraße.

Eine wilde Gegend?

Auch eine interessante Gegend. Ich hatte Gott sei dank den Mann dabei, sonst hätte ich das Hotel nicht verlassen, ich hab immer so eine Angst vor Wien .... nee, aber sonst ist alles gut!

In Ihrem Buch „Gold“ sehen Sie Österreich ja recht kritisch, die Österreicher begrüßen sich dort immer mit einem „gepflegten Heil Hitlerchen“ …

Diese Leute sterben aus. Es hat mittlerweile auch ganz hübsche Menschen in Wien. Als ich vor fünfzehn Jahren da war, liefen unglaublich hässliche Menschen rum, und es war dumpf und düster, man wurde allein vom Zusehen müde – heute sieht es aus wie überall, die Hipster-Gegenden sind auch schon voll mit diesen vielen Menschen, die auf einmal so reich aussehen.

Gefällt Ihnen Wien?

Ein bisschen baumlos kommt mir die Stadt vor, aber sie ist okay.

Und das Theater gefällt Ihnen auch?

Ich mag unterdessen die Theatersachen gerne, da geht es um die Zusammenarbeit, mit manchen Regisseuren, wenn sie wissen, was ich denke, ist das angenehm, manchmal sogar familiär, ich setz mich in die Proben und sehe den anderen beim Arbeiten zu. Ich hab das Gefühl, ich bin Teil einer lebendigen Masse. Schauspieler sind ja immer so lustig und laut, das mag ich gern. (Zu einem Vogel:) Du hältst mal den Mund, du Arsch.

Ist das Theater etwas wie Familienersatz, eine Familie mit begrenzter Zeit, aus der man sich auch wieder verabschieden kann?

Es ist die wunderbare Flucht aus der Realwelt, denn die Realwelt empfinde ich oft als sehr nervig. Und da drin hast du zwar auch das ganze Menschenzeug.

Und das Schreiben, gefällt Ihnen das?

Freude macht mir das Schreiben eigentlich nur, bevor ich schreibe. Der schöne, luxuriöse Moment ist aber, wenn du etwas fertig hast und diese Langeweile danach haben darfst, die mag ich sehr gerne. Man kuckt dann einfach TV-Serien, bis wieder eine kleine Scheiß-Idee kommt, und dann hat man das Gefühl, das wird jetzt toll, was ich schreibe. Das ist das schönste. Dann schreibst du es auf, und du merkst, ich bin werktätig, boah, hab ich heute wieder einen weggeschrubbt, und außerdem hat man dann etwas zu tun, das mag ich auch gerne. Aber danach ist es fertig. Wirklich schön wird das ja dann nie. Wenn du eine Idee hattest, glaubst du, du hast das Universum durchschaut, und das stimmt ja nicht.

Warum leben Sie eigentlich in der Schweiz?

Ich bin hier seit 180 Jahren. Es hat mit Kitsch zu tun. Es war aber nicht Heidi. Ich habe das Gefühl, es hat irgendwas mit Bergen zu tun, da ist heile Welt. Ich hab ja keine Heimat, ich komme aus dem Osten. Dort wollte man natürlich nicht sein. Von Kindheit an habe ich mir die Frage gestellt, wo will ich denn sein. Was niedlich war, weil im Osten wusste man nicht, wo man sein kann, denn die Informationen über andere Länder waren spärlich. Und ich kam auf die Schweiz. Keine Ahnung warum. Wir kannten nichts, außer dem befreundeten Ostland, da wollte ich überall gar nicht hin. Und in dieses Deutschland, da will man ja überhaupt nicht hin. Also habe ich zielstrebig das Land verlassen, fuhr in die Schweiz.

Als es schon legal war?

Nein, man durfte noch nicht. Meine Abreise war keine dramatische Geschichte, aber mit Anstrengung und Verhören und Ärger verbunden. Und die Schweiz war dann wirklich, wie ich mir es vorgestellt habe. Nur darf natürlich nicht jeder Arsch hierher kommen, also auch ich nicht. Da bin ich zähneknirschend in dieses Deutschland zurück, hab beschlossen, ich bleibe, bis ich jemand bin, und dann gehe ich wirklich in die Schweiz. E ist vielleicht eine Liebesgeschichte, ich weiß es nicht.

Was gefällt Ihnen an der Schweiz?

Es ist ein temperamentloses Land, das passt mir gut … De Menschen sind mir sehr ähnlich, es ist nichts Aufgeregtes an ihnen, nichts  Überbordendes, nichts Lautes. Das passt mir gut.

Wie ist Ihre Karriere verlaufen?

Erst kam das Buch raus, das erste, kleine. Das ging ja ganz gut. Dann kamen alle Zeitungen nachgedackelt, wie es immer ist. Dann kamen die Jahre mit diesen Reisen, Frau Berg fährt wohin und kuckt sich was an, zu jener Zeit ging es nicht mehr um ordentlichen Journalismus, sondern, man fährt irgendwo hin und schreibt irgendwas.

Nehmen Sie viel Gepäck oder wenig Gepäck?

Wenig. Ein großes Beauty Case, ganz wenig Anziehsachen, nur das, was ins Flugzeug reingeht. Alles, was mehr ist, finde ich mühsam.

Warum?

Kuck mal, erstmal bin ich ein sehr schöner Mensch. Ich bin ja ganz erstaunt oft, diese ganzen hässlichen Menschen, die hässliche Trikotagen tragen, ich denke mir, das bringt nichts, du kannst hunderte Kleidungsstücke mit dir führen, es wird nichts ändern! Und dann schleppe ich einfach auch sehr ungern Zeug.

Soll man über Reisen subjektiv schreiben, ist Ihnen das wichtig? Und ist Ihnen das Kontroversielle auch wichtig?

Es wird ja alles zahmer und altersmilder, was man macht. Früher habe ich mich über Dinge empört. Ich habe sie so beschrieben, wie ich sie gesehen habe, so wollte ich vielleicht die Welt ändern. Ich war aber jedes Mal sehr erstaunt, wenn Menschen das anders sahen und mir so viel Wichtigkeit zugestanden, dass sie sich aufregten?

Hatten Sie als junger Mensch Lust an der Provokation?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin ja ein furchtbarer Feigling. Provozieren hieße doch auch, du legst es auf Konfrontation an. Aber vielleicht hab ich das nur nie so gemerkt?

Mit Ihrer Art von Ehrlichkeit eckt man doch an.

Mir wenig klar, dass Menschen das Gedruckte ernst nehmen und sich darüber aufregen. Es hat mich immer überrascht. Es war unvorstellbar.

Haben Sie an vielen Pressereisen teilgenommen?

Pressereisen hab ich nie gemacht, ich war wirklich unterwegs. Das war ein sehr elitäre Zeit damals. 1986, 87, nach meinem ersten Buch, hatten die Zeitungen noch richtig viel Schotter. Ich hab sehr, sehr viel fürs Zeit-Magazin gemacht, der Redakteur hat mir zwei Fotografen mitgeschickt und wir sind mehrere Wochen wohin gedüst. Ich war zweimal in Bangladesh. Auch nach Kambodscha bin ich gefahren, um zu schauen, was die Roten Khmer machen. Wir sind durch ganze Land gelatscht, bis wir dann endlich ein Rudiment eines Umerziehungslagers gefunden haben. Aber wir haben das alles mit einer unfassbaren Blödheit und Naivität gemacht – es war schön, irgendwie?

Und jetzt?

Es ist traurig, dass sich mittlerweile jedes neue Medium – und es gibt viele neue Printmedien – nach unten orientiert. Sie müssen sich nach unten öffnen. Vielleicht sagen sies anders, aber sie meinen es so. Es geht immer noch blöder. Früher war das ein bisschen anders, da hat man noch nicht per se die Leser unterschätzt. Es gab endlos lange Sozialreportagen, mit schweren schwarz-weiß-Fotos … hübsch war das! Das kannst du heute vergessen.

Welche Zeitschriften lesen Sie heute?

Äh, gar keine.

Überhaupt keine?

Nee.

Okay …

Also schon, aber so Zeitschriften zum Bildchen kucken … zum Beispiel Gala.

Und früher, war Zeitung für Sie wichtig?

Die einzigen Reportagen, die ich aushalte, das sind die von Erwin Koch. Auch Abteilung subjektiver Journalismus. Der ist gut! Ein Schweizer. Früher hat er in Deutschland diese ganzen Hefte bedient. Unfassbare Reportagen von großartiger Düsterheit. Ich weiß gar nicht, wo der heute sein Auskommen findet.

Literatur, was lesen Sie?

Nur noch Thriller. Ha, ich gebe heute wieder das Bild einer großen Intellektuellen ab!

Ich habe Ihr Buch „Habe ich dir eigentlich schon erzählt? Ein Märchen für alle“ gelesen. Ist es eine realistische Story, die so hätte passieren können? Oder: Kanns das oder etwas ähnliches gegeben haben?

Ach, sind Sie nie im Osten gewesen?

Doch. Aber ich hab nie Umerziehungslager und Steinbrüche für Kinder gesehen.

Ich dachte an dieser Stelle, es muss in meiner Geschichte wieder was passiert. Zauberer und Hexen einführen, das wär ja nicht so passend gewesen. Aber das eigentlich Märchenhafte an der Story war für mich etwas anderes: ganz viele Kinder träumen davon, auszureißen. Nur, abhauen und so weiter – das haben Kinder im Osten überhaupt nicht gemacht. Das gab es nicht.

Aber wieso kommen die bei Ihnen so locker über die Grenzen, im Ostblock?

Ach bitte! Weil es ein Märchen ist! Mann!

Aber ich dachte, vielleicht konnte man damals im Osten einfach …

… nein, das war alles mit Papieren und hässlichen Beamten!

Es ist ja Ihr einziges Buch von Ihnen, in dem die Liebe eine Chance bekommt!

Sie meinen also, die Altersblödheit?

Naja. Haben Sie sich das getraut, weil die Protagonisten so jung waren?

Es sind zwei Figuren, die viel mit mir selbst zu tun haben. Denen wollte ich nichts Böses. Ich wollte ja auch, dass sie ordentlich essen. Ich wollte sie ursprünglich sogar noch jünger machen. Junge Menschen denken sich manchmal Zeug, da fällst du um. Ich erinnere mich einfach sehr gut daran, wie es mir in diesem Alter ging. Ich weiß, wie lange man hilflos ist. Denn du weißt schon recht viel von der Welt mit 13 oder 14, bist ihr aber noch höllisch ausgeliefert.

Sie können sich an Ihre Jugend erinnern. Schöpfen Sie überhaupt das meiste aus der Erinnerung an Gefühle?

Ja natürlich, ich hab auch ziemlich viele davon durchprobiert, in allen Extremlagen. Es kann natürlich eine Gefahr sein, wenn ich die immer zu übertragen versuche. Wenn ich Menschen ankucke, denke ich mir immer, wie geht’s denen denn? Also oft hauts hin, es gibt aber so Spezies, von denen ich absolut nichts verstehe, zum Beispiel diese Aufziehmänner, da weiß ich nicht, die in den Anzügen, kennen Sie die?

Ich weiß, wen Sie meinen.

Sie machen so Hedgefonds und so. Bewegen sich so seltsam. Sie sind mir unheimlich. Ich trau mich nicht einmal, mit einem von denen zu reden. Ich würde gerne nachforschen, ist da irgendwas? Ist jemand zuhause? Es gibt aber Gattungen, die entziehen sich jedem Zugang.

Im Unterschied zum Märchenbuch: Bei „Die Fahrt“ hab ich ja vor jeder Liebesgeschichte Angst, weil sie wird nicht wirklich funktionieren.

Naja, klar ... (Lacht).

Sie verzichten meist auf die klassische Romanhandlung. Wieso sind Sie der Versuchung widerstanden, die Ebenen stärker zu verknüpfen?

(Pause.)

Verstehen Sie, was ich meine?

Ich verstehe Sie sehr gut, junger Mann. Diese ganzen Reisen haben ja stattgefunden. Dieses blöde Reisebuch wollte ich seit 6 Jahren machen. Die Idee dahinter war, ich mache ein Buch über Glück. Wo gibt es auf der Welt Formen des Zusammenlebens, wo Glück funktioniert? Es war ein ehrgeiziges Projekt, ich wollte es ursprünglich mit Fotografen machen, aber das blieb unrealisierbar, die Fotografen waren doof, wollten ganz viel Geld. Und dann schlummerte das Projekt und schlummerte, und plötzlich wurde Glück unglaublich hip, überall tauchten Glücksforscher auf, das Thema war veraltet. Aber ich dachte eines Tages, ich muss das noch einmal machen, ich muss noch einmal verreisen, ehe ich das nie mehr tue. Und jetzt mach ich’s ohne Fotografen, sondern schleppe den Mann mit, weil ich nicht gerne alleine verreise. Ich wusste noch nicht, was ich genau will. Möchte ich etwas wie Bruce Chatwin machen, also Reisereportagen. Es ist dann eher entstanden, ohne darüber nachzudenken. Eine Zwischenform. Und sie stärker zu verbinden, die Ebenen – das kann ich einfach nicht.

Ich hab das Gefühl, es wäre zwar nicht gut für das Buch, aber es wäre leicht, sie stärker zu verbinden.

Echt? Mensch! Na vielleicht bin ich so intelligent …

Eine Ihrer Techniken ist doch, Sie geben nicht alles?

Nein. Es passiert wirklich das Zeug, ich bin nicht so ein planerischer Mensch, ich weiß vorher gar nicht, wie das Buch aussehen muss. Ich hab immer starke Gefühle. Wenn ich mich langweile, oder wenn’s zu einfach wird, muss was passieren. Ansonsten folge ich eher einem übergeordneten Gefühl von dem, was rauskommen soll.

Viele Ihrer Figuren sind ja verzweifelt.

What News!

Für die hoffnungslosen, depressiven Stellen, muss man da depressiv sein oder schreibt man sie mit einem Lächeln?

Hoffnungslos sind wir ja alle. Wir wissen ja, wie es endet. Hut ab vor klinischen Schädigungen des Gehirns ... aber das meiste Depressive ist auf Faulheits-Defizite zurückzuführen, das geht darauf zurück, dass die Menschen so starr sind und sich nicht aus der Scheiße befreien wollen. Das haben die in der Schweiz nicht.

Weniger Depression?

Unbedingt! Wenn du dich in Deutschland umhörst, schlägt die ein Gejammer entgegen, das dir hier in Zürich nicht unterkommt. Aber der Wiener steht da ja auch gut dabei, oder?

Er ist schlecht gelaunt.

Und unglücklich!

Und traurig! Aber ich fühle mich nicht als Wiener. Sie doch auch nicht als Weimarerin oder Schweizerin?

Ich weiß einfach, dass die mich nicht wollen. Auch nach hundert Jahren bist du hier noch die Deutsche, zur Zeit natürlich extrem, weil so viele blöde Deutsche nachgereist kommen. Man muss ja nicht überall, wo man ist, zuhause sein. Wo zu Wohnen ist auch okay.

Die Schweizer wollen Sie nicht?

Nein, es liegt nicht am Wollen! Aber nach dreißig Jahren, selbst wenn du einen Pass kriegen solltest, bist du noch kein Schweizer. Zum einen red ich den Dialekt nicht, ich versteh ihn zwar in allen Härten, aber du hast ja nicht die gleiche Geschichte wie die Menschen. Wie das ist, in so einem kleinen Puzzelland geboren zu sein. Die wollen ja alle weg. Ich will hierher. Man muss stark aufpassen, dass man sich nicht anbiedert und sagt: Nehmt mich, nehmt mich!

Sie verstehen im Schweizerdeutsch alles?

Ja alles.

Egal, wer redet?

Egal, ja. Der härteste Dialekt, fast wie Mittelhochdeutsch, ist das Walliserdeutsch. Das ist großartig, da hat sich seit dem Mittelalter nichts getan und ich hab, als ich kam, sechs Jahre lang mit zwei Wallisern zusammengewohnt, das war eine Art Hardcore-Schule. Danach verstehst du das alles.

Sie haben nie versucht, es zu sprechen?

Nein, du lernst es nicht richtig. Und sie verstehen ja Deutsch. Sie fühlen sich halt wohler, wenn sie Schweizerdeutsch reden.

Kennen Sie Schweizer Autoren?

Ich hab keine Autorenfreunde, ich hab eigentlich nur Schweizer Freunde.

Dieses Buch ist die Frucht einer jüngeren Reise?

Zu zweit, mit dem Mann mitgenommen, letztes Jahr. Wir haben immer wieder Unterbrüche gemacht, aber wir waren das ganze Jahr unterwegs, in irgendwelchen blöden Ländern.

Reisen hat ja einen solchen Status. Aber es ist anstrengend.

Man kann aber den Menschen nie erklären, dass Reisen furchtbar ist. Man sagt ihnen am besten, es ist schön, es ist super. Früher als ich jeden Monat wohingetorkelt bin und gar nicht mehr wusste, wo bist du eigentlich … Alle sagen, es sei so toll! Dann sagst du einfach, ja, das ist toll. Dann hat sich das auch erledigt.

Haben Sie Strategien, sich nicht ganz entwurzelt zu fühlen, wenn Sie unterwegs sind?

Asia-Restaurants. Schöne Schweizer Asia-Restaurants (Lacht.) Ich geh meistens zu Japanern und Thailändern essen. Dann bin ich heilfroh über deutsches Fernsehen, das hilft immens. Wenn ich das kriegen kann, läuft das die ganze Zeit.

Und Internet?

Hilft weniger. Weil ich nicht so viel kommuniziere.

Okay.

Okay! (Lacht.) Ich hab noch nicht so lange einen Mann. Vier Jahre. Früher war ich immer alleine. Kleines Beispiel, in Wien, es war brüllend heiß, ich war so glücklich, dass der Mann dabei war, ich hab mir gedacht, jetzt kann man richtig ausgehen und was besichtigen. Normalerweise wäre ich im Hotel geblieben. Ich find es eine große Überwindung, auf die Straße gehen, rumlaufen, wozu? Plötzlich spricht dich jemand an. Nein, das will ich nicht! Ich find es furchtbar.

Ich find es auch furchtbar, aber es ist trotzdem eine spannende Idee, wegzukommen!

Klar. Es war damals für mich so, bei dieser Reisegedünns, damals, als es noch ging, musste es auch immer wilder werden. Irgendwann denkst du, so, das sind diese Länder, irgendwann stumpfst du ab, und denkst, ist gar nicht so schlimm, du kennst das alles. Zu diesem Zeitpunkt fing ich an, mit Kriegsgebieten zu liebäugeln, einfach weil dort was Neues passierte. Allerdings bin ich weder geschickt, noch kann ich Fremdsprachen, da wäre dann schnell mal zu Ende gewesen. Später habe ich das Reisen aufgehört, ich wollte zehn Jahre nirgendwo hin. Höchstens bin ich an Orte gefahren, die ich schon kenne und dachte, jetzt überprüfen wir das noch einmal. Hab ich da etwas verpasst?

Haben Sie?

Nö. Aber das ist halt eine arrogante Haltung. Wenn irgendwelche Dubbelis ihre 2 Wochen Jahresurlaub haben, ist das ja okay. Und junge Menschen wollen ja was sehen von der Welt. Wenn du ihnen sagst, es ist überall das selbe und nur erbärmlich, das bringt denen ja nichts.

Strandliegen?

Wozu denn? Sonnenbrand ist ja furchtbar.

Was ist dann das Befriedigende am reisen?

Wegfahren mag ja noch gehen, aber viel besser ist das Zurückkommen. Oft könnte ich zu heulen beginnen, an diesem blöden Flughafen beim Heimkommen, ich könnte sofort alles ablecken. Das mach ich zwar selten. aber für diese Gefühle lohnt es sich, weggewesen zu sein. Die überschwängliche Freude, wieder daheim anzukommen!

Ja, genau!

Ich glaube, wir werden alt.

Naja, ich glaube das noch nicht so lang, aber ich glaube es auch.

(Lacht.) Ich glaube, ich war auch noch nie jung.

Diese Helena im Buch …

… welche ist das denn wieder?

… die Fette! Ändern Sie die Namen der Figuren mehrmals und hängen noch an früheren Namen?

Nein, ich vergesse nur so viel.

Ich sehe die Panik in ihren Augen, wenn ich über Ihre Figuren spreche, und Sie hoffen, zu wissen, worüber ich rede. Helena sagt, sie habe fast alle Länder bereist, über die es einen Lonely-Planet-Reiseführer gibt. Wie ist Ihr Verhältnis dazu?

Ich hab Lonely Planet nie benutzt. Früher wurden meine Trips das ja von den Zeitungen organisiert, ich wollte keine Traveller treffen und brauchte kein billiges Hotel. Und heute, es klingt so völlig fies, aber auch schön, heute bucht man mir Luxushotels. Perfekt, oder? Ich kenne natürlich diese ganzen Rotten von Kindern, die mit diesen Büchlein unterwegs sind, die wirklich sparen müssen sich darüber freuen, andere Arschgeigen zu treffen, die genauso aussehen wie sie und die genau die gleiche Scheiße erzählen.

(Insekt fliegt über dem Tisch.)
Was ist denn das?

Das ist die normale Mörderwespe

Also, trinken wir noch einen Tee?

Gerne. Oder vielleicht trink ich mal … wie ist das mit der Erkältung … Gut, vielleicht geh ich mal austrinken und bestell dann noch was. Möchten Sie wieder den gleichen Tee oder etwas Verrückteres?

Den gleichen Tee, aber diesmal mit Milch, ist das verrückt genug?

Ja, schon. Jetzt geht’s aber ab.

Ja, jetzt geht’s ab.

(Pause. Sibylle Berg geht zur Toilette.)

Für manche Menschen ist „Pressereise“ das Hauptwort des Lebens.

Ach ja, Scheiße. Hab ich nur einmal gemacht. Ich dachte mir, Himalaya, kennen wir ja noch nicht. Habe mich beteiligt. Und dann.

(Kellnerin fragt, ob wir noch etwas wünschen.)

Nein, Hauptsache, wir sind zusammen.

Ich war am Flughafen und sah die Menschen auf der Pressereise und hab mich in eine völlige Hysterie gesteigert, ich dacht, das Flugzeug, in das ich jetzt steigen sollte mit diesen Menschen, wird abstürzen. Ich bin ja recht gut in Absturzphantasien. Wollte nicht in das Scheiß Indien. Die ganze Kontrollscheiße auch. ich hab ja auch kein Gepäck, immer alles bei mir. Und bevor ich ins Gate ging, bin ich abgedreht und alles wieder zurückgelaufen.

Da konnte man noch weg?

Gerade noch. Das war ein tolles Gefühl, nach Zürich zurück, so eine Erleichterung, ich war so glücklich. Ich dachte, das mache ich nie wieder. Das war Angst vor den Menschen und es ist von vornherein so öde.

Sollen wir uns dieses Wasser für den Tee teilen und die älteren Säckchen reintun…?

Schön, ja.

Haben Sie Flugangst?

Ja, wird im Alter schlimmer. Dabei sterben wir ja eh. Eine Zeitlang hatten sich diese Ängste gelockert, aber jetzt sind sie wieder da. Dieser absurde Zustand, irgendwo ohne Fußboden zu sein. Ich sage ich mir jedes Mal, ich mach es nie wieder. Beim Hochgehen ist es schlimm und wenn es wackelt. Ich stelle mir ja auch immer vor, wie diese Mitreisenden neben mir mit aufgedunsenen, zerfetzten Leibern da unten liegen. Das sehe ich. Und ich glaube, es geht ja lang. Ich glaub nicht, dass das so gnädig abgeht, es hat ja so Fälle, woi die noch 16 Minuten trudeln. Das stelle ich mir hart vor.

Ja, je mehr man sich etwas vorstellt, desto …

Eben.

Ich wollte aber noch fragen …

Aber wir hatten doch so schöne Themen schon gefunden!

Ich wollte Sie fragen, welche Orte Idealorte für Sie sind?

Die Schweiz natürlich. Und Finnland. Und Island.

Ist das nicht unerträglich, wenn es so lange dunkel ist im Winter?

Wahrscheinlich wird es irgendwann zu arg. Es ist aber diese Mischung aus Leer und Groß, die gefällt mir natürlich. Und da gehe ich jetzt auch wieder hin. Die Menschen sind – aber hallo – die fand ich so richtig gut. Es war schön dort. Ich hab ja jetzt einen Mann, der redet so gut wie gar nichts. Das fanden die Isländer ganz normal, weil die auch so gut wie gar nichts reden. Das wäre der Ort eigentlich.

Und der Süden?

Alles wo es südländischer wird, und lebenslustiger, da ziehen sich bei mir die Schultern ein bisschen hoch. Da fühle ich mich dann, ach, warum bin ich nicht lebenslustig?

Europa?

Mehr und mehr komme ich drauf, dass die Reichen ja schon immer gewusst haben, wo es verdammt noch mal schön ist. Gegen Bellaggio lässt sich nichts einwenden, ein großartiger Ort.

Ich sage immer, Neuseeland.

Nee, ich find das nicht so. Die gingen mir mit ihrem Sport auf die Nerven gegangen und mit ihrer Aktivität, die federten da rum, haben Pferde benutzt, sind Rafting gegangen und haben grilliert.

Von der Landschaft her!

Ist ja nichts besonderes, es sieht ja aus wie hier.

Da kann man natürlich zuhause bleiben, aber das ist ja gut.

Das ist ja das Beste!

Aus Ihrem Buch habe ich mir einen Satz herausgeschrieben: „Jetzt, wo ich mein Zuhause gefunden habe, was ist, wenn es mir wieder weggenommen wird.“ Das ist programmatisch, oder?

Ja, aber Hallöchen! Das … denk ich mir andauernd. Ich hatte auch immer furchtbare Angst vor der Fremdenpolizei, die mir aus der Schweiz rausschafft.

Sind Sie jetzt legal?

Jetzt darf ich hier sein, ja.

Sind Sie schon Schweizerin?

Ich will das dann schon. Du kannst das aber erst nach zwölf Jahren, und die hab ich offiziell noch nicht rum. Jetzt aktuell hab ich Angst um das Haus, um den Mietvertrag. In Zürich wird es ja völlig bizarr. Aus aller Welt kommen junge, gut ausgebildete IT-Menschen her, bauen Google auf, das hat zur Folge, dass es unsäglich teuer wird, wo du nicht mehr mithalten kannst.

Warum Angst um das Haus?

Weil das noch relativ billig ist, aber einer 86-jährigen Frau gehört, wenn die zu Gott geht, kommen da Eigentumswohnungen rein oder die Miete wird angehoben. Ein bisschen Panik muss man dann schon haben. Und dann denk ich mir auch immer, was ist, wenn der Mann stirbt? Weil einen solchen findet man nicht an jeder Ecke.

Ihre Romanfiguren finden immer wieder jemanden.

Die sind ja auch nicht ich. Ich habe ja irgendwie nur mal einen gefunden. Ich denk halt nie, warum ich, sondern ich denke immer, warum nicht ich.

Versteh ich nicht.

Viele denken, wenn ein Partner stirbt oder wenn sie Krebs bekommen: Warum ich? ich denke aber: Ja klar, warum nicht? Unser kleines zusammengezimmertes Glück ist ja so fragil.

Das merkt man auch den Figuren an, die Sie erfinden. Für mich ist die Frage, haltet man das Glück aus?

Och, ich find das super. Die schönste Zeit meines Lebens ist jetzt. Seit einigen Jahren. Ich denke, das könnte jetzt prima fünfzig Jahre so weitergehen. Solange es immer neue TV-Serien gibt, kann da nichts passieren.

Die andere Seite ist die Angst vor dem Tod.

Die haben wir aber nun alle.

Manche stärker, manche sagen, sie haben keine.

Manche sagen, sie denken da nicht dran. Das find ich verrückt. Wie kannst du daran nicht denken?

Wie oft denken Sie dran?

Sicher jeden Tag.

Das ist ja auch gesund, finde ich.

Es ist normal. Ich wache jeden Tag saugerne morgens auf und freue mich, dass mein dicker Mann neben mir liegt, dass ich diese schöne Wohnung habe und Geld habe, die Miete zu bezahlen, ich denke mir parallel dazu aber immer, Scheiße, das hast du dann bald nun nicht mehr!

Ja.

Eine wirkliche chemische Depression beginnt, wenn dieser Zustand überhand nimmt. Aber so gar nicht darüber nachdenken, das ist seltsam. Diese Männer, mit denen ich nie rede, die denken da vermutlich gar nicht an den Tod. Die da Schaden anrichten mit ihren Hedgefonds und ihrem Aktienzeug, die könnten ja gar nicht so agieren, wie sie es tun, wenn sie nachdenklich werden.

Müssten wir ihnen trotzdem Glück gönnen? Haben sie Glück?

Was jetzt, wer, wo? Ach, ich glaube, die sind glücklich. Es ist ein Trugschluss zu sagen, die können nicht glücklich sein. Sie haben viel Kohle. Sie bewegen sich innerhalb ihrer Raster. Das Auto muss stimmen, und wenn man Kohle macht, kann man noch mehr Kohle machen. Ich glaube, die Rechnung geht auf. Geld macht glücklich, Die drei, vier gegenteiligen Beispiele, die uns immer vorgeführt werden sind Blödsinn.

Glaub ich auch. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu den Verkaufszahlen Ihrer Bücher?

Sie sind ein Urteil über die Kompatibilität. Nee, das interessiert mich gar nicht, ich will ja reich werden. Nee, im Ernst, ich habe so ungefähr im Gefühl, wie viel muss ich verkaufen, damit der Vorschuss rein ist, und viel weit drüber hab ich’s eh noch nicht geschafft.

Dann ist ja der Vorschuss sinnlos.

Völlig! (Beide lachen.)

Der ideale Vorschuss wäre höher!

Das geht nicht lange auf. Da haben sich viele gehörig ins Abseits begeben. Das ganze Buchgewerbe ist ein unromantisches Gewerbe. Es verkommt ja, du hast heute kaum noch kleine Verlage, die sich das gönnen können, ihre Autoren zu pflegen – und der Verleger raucht Zigarre – das gibt’s nicht mehr. Sind ja alle aufgekauft von Bertelsmann und Co. Ich habe in den letzten zehn Jahren deutlich gemerkt, wie sich das verändert. Das Zeug wird so durchgereicht. Die Bücher werden kurz gepusht und möglichst rasch abverkauft, und wenn es das nicht tut innerhalb von vier Monaten, ist es schon aus. Dann schreibst einen neuen Roman! Dein hübscher Name nützt dir gar nichts, wenn du in Folge unter dem Vorschuss liegst beim Verkauf, dann bist du fort. Es gibt keinen Reemtsma mehr, der sich für Arno Schmidt interessiert und vor dessen Haustor sitzt. Ich wüsste gerne, wie man mehr verkaufen könnte. Hat es irgendeinen Österreicher, der etwas verkauft?

Daniel Kehlmann.

Der ist Österreicher?

Ja. Er gilt nur als Deutscher.

Ich hab sein Buch nicht gelesen – ist kein Thriller, deswegen. Aber ja, ich hätte gerne mehr Geld, aber dann wirklich viel mehr Geld, Business Class-mehr Geld. Aber mit meinen Büchern wird das nicht gehen. Es gibt schon einen Bestseller-Standard, Bücher, die man an Studienräte verkauft, aber mit so zusammengestoppeltem Zeug, wie ich das mache, ist das nicht zu erreichen. Die Leser wollen Zeug von jemandem, der glaubt, was er schreibt. Eine Liebesgeschichte, an die man selbst glaubt.

Bei Liebesgeschichten lassen Sie ja Ihren Figuren die Liebe nicht, Sie nehmen sie ihnen ja wieder weg.

Vielleicht könnte ich es ihnen auch lassen, und das wäre der Bestseller! Aber will man das wissen.

Die Beziehungen, die Sie beschreiben, enden ja weniger im Streit als im Verschwinden. Ist das eine Phantasie von Ihnen?

Nee, so hab ich das immer gemacht. (Lacht.)

Hab ich mir – entschuldigung jetzt – gedacht.

Ich rede weder sehr gern überhaupt noch sehr gerne über Beziehungen. Ich hatte oft das Pech, Geschichten zu haben, wo die Männer über Beziehungen reden wollten. Das sind gar nicht die Frauen! Die Männer wollen ja immer diesen Quatsch bereden. Das heißt jetzt nicht, gehen, wenn’s schwer wird, sondern gehen, wenn’s blöd wird!

Und es wird blöd, wenn man die Beziehung thematisiert, in der man steckt?

Wenn man versucht, sein eigenes Leben aufzulösen, und dann kommt heraus, wir machen das jetzt so zu zweit, der andere ist verantwortlich dann wird’s blöd, glaub ich. Okay: Meine Theorie, meine unmaßgebliche Theorie, ist, diese ganzen Beziehungsgespräche, alle diese Worte – wie „abgrenzen“ – diese widerlichen Worte, das ist, weil die Menschen den Fehler machen, den anderen verantwortlich zu machen. Zusammen Leben soll was anderes sein. Man lebt zum Beispiel mit jemandem in einer Wohnung. Natürlich freut man sich, wenn es dem anderen gut geht. Aber sonst hat das nicht viel mehr miteinander zu tun. Man geht vielleicht mal gemeinsam die Oma besuchen. Aber doof wird’s, wenn du deine eigene Langeweile dem anderen vorwirfst, und deine Unzufriedenheit. Das ist, was viele machen. „Du unternimmst nichts mit mir!“ – „Dann geh doch alleine spazieren, dumme Amsel!“

Mhm. Was ich bei Ihnen selten finde, sind Dreierkonstellationen. Ist das kein Thema?

Darauf verzichte ich. Das wird ja gerade so niedlich. Ja, treten Sie ruhig meine Schuhe! Das geht ja in den Bereich Freundschaft über. Das will man doch nicht schildern. Das wird dann der Bestseller, vielleicht.

Im Buch „Ende gut“ haben Sie ja ein halbes Jahr vor dem tatsächlichen Ereignis den Nobelpreis von Elfriede Jelinek prophezeit – können Sie in die Zukunft sehen?

Der war gut, nicht?

Der war unglaublich!

Ich bin der Nobelpreisflüsterer. Ich hab einfach angerufen bei diesen Lumpis. Und gesagt, das mit dem Grass war eine Fehlentscheidung, jetzt macht mal was ordentliches. Die hören auf mich. Also, als ich die Nachricht hörte, dachte ich, unfassbar. Ein Mädchen, und noch dazu ein solches Mädchen! Ich hab mich schaurig gefreut für sie.

Kennen Sie Jelinek?

Kennen nicht, wir schreiben uns. Sie ist auch so ein Mensch, der ungern aus dem Haus geht. Wir sind im gleichen Theaterverlag. Sie ist mir irrsinnig sympathisch. Das war großartig, einer den du kennst, kriegt den jetzt. Ich als altes berechnendes Luder hätte nur an die Kohle gedacht. Dadurch hast du wirklich deine Ruhe. Sie macht jetzt dieses Internet-Buch, das ist wunderbar, wenn man sich das erlauben kann. Es ist ihr wirklich zu vergönnen, denn sie wurde ja so was von nicht gemocht.

Und würden Sie sich über einen Nobelpreis freuen?

Klar. Aber dazu ist vieles, was ich schreibe, zu gut konsumierbar. Ich schau ja immer, dass man alles lesen kann. Das spricht gegen diese Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst Kunst.

Glaub ich auch.

Für einen Mainstream ist, was ich schreibe, zu kompliziert und eklig, und um von den Literaturmenschen abgeschleckt zu werden, ist es zu verständlich. schade!

Man könnte bei Ihnen sagen, ist das überhaupt Literatur, wenn’s da so zur Sache geht?

Als ich das noch verfolgte, war das krass. Erschreckend hasserfülltes Zeug was da kam, und so vieles über meine äußere Person. Wie ich aussehe, wie ich wohl bin, wie depressiv und wie frustriert ich sein muss. Sie haben geschäumt. Ah, das ist mein Mann! Komm! Der redet nur Englisch. Er ist aus Israel. Er putzt jetzt gerade seine Harley.

(Mann kommt, kurze Begrüßung, Mann geht.)

Haben Sie in Israel gelebt?

Ich war auch viel dort, bevor ich ihn kennenlernte. Es ist hübsch, da kann man hinfahren. Tel Aviv ist extrem interessant, so wie Reykjavík, es gibt so Orte, die gibt es sonst nicht. Findest du nirgends. Mischung aus alten deutschen Einflüssen, Bauhaus, mit dem Orient, und das Meer dort, die Leute sind wahnsinnig laut und wahnsinnig anstrengend. Du hast dort viel zu kucken.

Wir müssen ja auch zur Politik kommen. Sie waren doch für den Irak-Krieg. Was sagen Sie jetzt dazu?

Stimmt nicht. Aber ich finde diese unreflektierten Amerika-Hassparolen so dumm. Diese Michael-Moore-Propaganda, die ist ein bisschen zu einfach. Sie erzeugt Blödparolen, Bush ist ein Cowboy, so ein Blödsinn. Jeder Arsch weiß doch, dass das nur eine Pappfigur ist. Dann dachte ich, was ist jetzt bitte falsch daran, einen Diktator auszuschalten, wo ist da der Fehler? Ich finde es auch extrem schwierig, mit Menschen immer über Politik reden zu müssen, die nicht informiert sind. Ich weiß selbst davon viel zu wenig. Verallgemeinerungen sind etwas dummes und sehr langweiliges. Und außerdem, wenns einen hübschen Krieg braucht, bin ich immer dafür.

Würden Sie in den Irak fliegen wollen?

Gar nicht, überhaupt nicht. Ich fliege generell nicht in diese Länder. Auch nicht nach Saudi Arabien.

Es gibt aber viele westliche Frauen, die für die arabische Welt schwärmen.

Ja, das sind meistens so linke Mädchen, oder? Da läuft ein Romantik-Kitsch-Programm, von Tausendundeinernacht.

Afrika kommt kaum in Ihren Texten vor.

Stimmt, da war ich nicht. Da gibt es viele muslimische Länder, wo ich per se nicht hingehe – und es gibt ja so Gebiete, da will ich einfach nicht hin – und es hat schaurig viele Insekten. Es ist wahrscheinlich ganz anders als man es sich vorstellt

Haben Sie Angst vor Krankheiten?

Nö, vor Insekten.

Ich hab Malariaangst.

Die hatte ich schon. Das ist wirklich nicht hübsch, das macht keinen Spaß. Aber die kriegt man ja weg. Es ist nicht mehr so wie früher, wo das dann periodisch wiederkam, es lässt sich völlig ausheilen. Das war nicht lustig. Ich hab mir das am Amazonas geholt, bei den Goldgräbern. Am Anfang hab ich’s nicht bemerkt, was das ist, es fühlte sich an wie eine ganz ekelhafte Grippe. Ich bin dann mit dieser Malaria weiter, nach Marokko, in die Wüste gefahren. Das war dann richtig fies. 42 Fieber, Schweiß, da hätt ich fast wirklich den Moment verpasst, ich kam ins Tropeninstitut in Deutschland, da war helle Aufregung. Krank werden, irgendwo da, das ist nicht lustig.

Was essen Sie gerne?

Asiatisch. Ich kann Ihnen meine neuen Wiener Lieblingsrestaurants in Wien sagen. Es gibt da einen schaurig guten Vietnamesen in der Gumpendorfer Straße, ein hässlicher Laden, aber so gutes Essen! Und in dieser fetten Einkaufsstraße, wo alle einkaufen gehen, vorne, rechts ab, hat es eine kleine Straße mit einem verblüffend guten Japaner

Und beim Japaner? Sushi oder Suppe?

Beides, Udon mag ich gerne, Sushi auch.

Beim Vietnamensen Pho?

Vor allem diese Glaspapierröllchen mit Zeug dazu. Und beim Thailänder esse ich alles gerne, wo ich richtig viel Curry drüberstreuen kann.

Eine schöne Stelle in Ihrem Buch ist das schlechte Thairestaurant in Reykjavík …

… ja, die können ja so nicht kochen! Aber man fühlt sich daheim, sie sind ja so lieb?

Und die Schweizer Küche?

Nein.

Kochen Sie?

Nein. Also ab und zu kocht der Mann, er hat gelernt, wie man Sushi macht …

Sushi kann er!

Und ab und zu rühren wir was zusammen. Aber so richtig kochen, also ein Paar, das fröhlich zusammen kocht und sich so die Dillbündel hin und herreicht, nein.

Wie schreiben Sie?

Nackt. Natürlich nackt und mit dem Mund.

Und zu welcher Tageszeit?

Meistens um Mittag herum. Vormittag ist zum Anrufen und Papiere müssen irgendwo hingeschickt werden. Von 11 bis abends arbeite ich.

Wieviel Prozent von Ihrer Arbeit ist das Bürokratische?

Das Bürokratische ist ganz cool. Ich hab ja jetzt eine kleine Agentin, und eine kleine Agentin ist so was wie eine Assistentin, die macht keine Deals mit Verlagshäusern, aber sie erledigt alles übrige. Alles berufliche, und auch das Nicht-Berufliche. Ich hab ja eine Menge Einschränkungen, ich hab Telefonangst, und eigentlich Angst vor allem.

Die Deals mit den Verlagen machen Sie?

Da war bisher nicht so viel zu tun.

Sie verhandeln?

Ja, das geht von mir aus.

Wie viele Menschen soll man eigentlich pro Woche sehen?

Einer langt. Also – mir.

Treffen Sie mehr Menschen?

Kommt drauf an. Jetzt mach ich grad nichts, müsste ein neues Stück machen, aber da drück ich mich noch. Und wenn ich wirklich arbeite, mache ich keine Termine. Gar nichts. Weil da macht einen ja alles nervös, was den Tagesablauf zerstört, oder? Und da hat es Wochen, wo ich außer dem Mann niemandem sehe. Das sind eigentlich die schönsten Wochen.

Wie lange haben Sie an „Die Fahrt“ geschrieben?

Große Teile während der Reise, auf dem Laptop, die Rohstückchen sind da entstanden, und noch mal vier Monate zu Hause, um alles mal schön zu machen.

Würden Sie zu einem Abiturtreffen fahren?

Nein, aus dem Osten kenne ich niemanden mehr. Richtig gar nicht. Weiß auch gar nicht, ob ich jemals auf einer Schule war. Ich würde um das Verrecken niemals zu einem Klassenzusammentreffen gehen, ich kenn die Menschen ja gar nicht.

Nur, wie sehr Sie mit Ihrer Vergangenheit …

Vergangenheit find ich relativ uninteressant. Das war ja.

Und Familie?

Nee, die sind bei Gott. Was ich unterdessen ganz gut finde.

Und früher schlimm war?

Klar, wenn du jünger bist, denkst du dir, hätte ich doch eine hübsche Familie und Mutter mit der weißen Schürze und all das Zeug. Unterdessen denke ich mir, nun, das war jetzt halt nicht. Irgendwie ist ja gut, sind sie schon weg. Denn in unserer Altersliga fängt überall das Elternsterben an. Und das habe ich schon erledigt. Ach, wie gefühlskalt ich bin!

Ich finde es nicht gefühlskalt, es ist natürlich.

Mein Mann, die Mutter von ihm, die starb jetzt Anfang Jahr. Die war eben in Tel Aviv geblieben. Die hat mich furchtbar gehasst, weil ich ihr den Sohn genommen habe. Kann ich auch verstehen. Da hab ich das richtig mitgekriegt, was macht man mit einem alten Menschen, wenn er nicht will. Da war ich froh, hab ich das nicht mehr. Du überlegst dir dann bei den Eltern, wo gibst du sie hin, tust du sie in ein Heim, was machst du dann?

Und der Mann arbeitet?

Der Mann macht jetzt grad die Harley-Sache. (Lacht.) Der Mann schreibt ein bisschen für israelische Zeitungen, Interviews. Der führt den Haushalt, der Mann macht sonst nicht so viel.

Am Wochenende fahren Sie zu zweit mit dem Motorrad spazieren?

Genau! Sonst kuckt er, dass mir wohl ist.

Also ich bin eigentlich mit meinen Fragen durch und so …

… und so weiter, ja.